Living - Einmal wirklich leben

Mr. Williams (Bill Nighy) trägt Bowler. Zum Gruß legt er eine Hand an die Krempe. Seine Miene verzieht sich dabei so minimal, dass es eine Lupe braucht, um das zu sehen. Wann hat der Brite das letzte Mal gelächelt? Seine Kollegen im Londoner Bauamt können sich jedenfalls nicht erinnern. Als Rädchen im Getriebe kümmert sich der leitende Beamte im Jahr 1953 um den Wiederaufbau der Stadt. Was keine Dringlichkeit hat, kommt auf den Ablage-Stapel. Der ist so hoch, dass er das Gesicht des Dienstbeflissenen verdeckt. Eben dort liegt auch der Antrag von Mrs Smith und einiger weiterer Frauen. Einen Spielplatz für ihre Kinder wollen sie bauen lassen. Das kann warten. Dann erfährt Mr. Williams, dass er Magenkrebs hat. Sechs, vielleicht neun Monate bleiben noch. Was anfangen mit der Zeit? Die Begegnung mit der jungen Ex-Kollegin Margaret (Aimee Lou Wood) lässt Mr. Williams verstehen: Es ist spät. Aber noch nicht zu spät.

Das schottische Volkslied "The Rowan Tree" ist von Bedeutung in Oliver Hermanus' Melodram LIVING - EINMAL WIRKLICH LEBEN. Bill Nighy, der die Hauptrolle spielt, singt es, sich an seine Kindheit erinnernd. Es ist schon große Kunst, wie er mit so wenigen Geste, Mienen und knappen Dialogen so viel Gefühl zum Ausdruck bringen kann. Hermanus transportierte Akira Kurosawas Meisterwerk IKIRU aus dem Jahr 1952 durch den Raum (von Japan nach England), aber nicht durch die Zeit. Der japanisch-britische Autor Kazuo Ishiguro adaptierte das Drehbuch mit großer Vorsicht. Jamie Ramsay schuf perfekt ausgeleuchtete warmfarbene Bilder im inzwischen nicht mehr altertümlichen 4:3-Format.

 

Großbritannien 2022

Regie: Oliver Hermanus

Darsteller: Bill Nighy, Tom Burke, Aimee Lou Wood u.a.

 

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Ab 6 Jahren  |  103 Minuten